Blaise Pascal: Briefmarke des Monats

Eine schöne kleine Seite über Blaise Pascal, die sich anläßlich der französischen Briefmarke zu Ehren Pascals (300. Todesjahr) hauptsächlich mit seinem mathematischen Werk beschäftigt.

Ein neu zu entdeckender Philosoph Es gilt mit Pascal einen Philosophen neu zu entdecken, der in Deutschland wenig beachtet wird. Dies liegt zum einen, an dem Denktypus, den Pascal verkörpert. Nämlich: die Moralistik. Das moralistische Denken ist in Deutschland nicht sehr gefragt. Zum anderen, an der fehlenden Präsenz eines übersetzten Textbestandes. Letzterem kann nun zumindest abgeholfen werden. Denn mit der Ausgabe ‚Pascal im Kontext’ ist erstmalig das pascalsche Werk in einheitlicher Übersetzung zugänglich. Konnten sich bisher nur einige Kenner mit dem philosophisch-theologischen Gesamtwerk in deutscher Sprache vertraut machen, die wussten, wo die Gedanken, die Provinciales, die kleineren Schriften oder die Briefe jeweils zu früherer Zeit veröffentlicht worden waren, so kann nun leicht jeder einen Ein- und Überblick gewinnen. Zugleich hat man einen guten Zugriff auf den französischen Text. Die ‚Gedanken’ Pascals werden dem Leser in der Anordnung von Lafuma präsentiert. Hier gäbe es zahlreiche Alternativen. Da die ‚Gedanken’ ein ungeordneter Haufen von Zetteln und Fragmenten sind, die Pascal bei seinem Tode hinterließ, lassen sich beliebig viele Gliederungen des Materials denken. So gab es allein im letzten Jahrhundert fünf verschiedene Ausgaben der Pensées. Jeder Herausgeber sortierte die ‚Gedanken’ nach seiner Vorstellung und seiner Philosophie. Diese Varianten und Lesarten zu vergleichen, macht einen Teil der Faszination aus, wenn man sich mit Pascal beschäftigt. Entspricht doch die ‚Perspektivik’ der unterschiedlichen Ordnungen der menschlichen Vielgestaltigkeit und Pluralität. Liest man verschiedene Ausgaben parallel, hat man einen Pascal für jede Gelegenheit. Neben diese ‚Vielheit’ muß ganz im Sinne Pascals die ‚Einheit’ treten. Ohne aber die erstere zu ersetzen. ‚Einheit’ und ‚Vielheit’ stehen in einem dialektisch-gebrochenen Verhältnis. Diese beiden Prinzipien sollte auch eine Ausgabe der pascalschen Werke nutzen; vor allem, wenn sie aufgrund der medialen Form nicht auf Kapazitäten achten muß. Das heißt, man hätte ‚im Kontext’ mehrere Pascal-Ausgaben vergleichend gegenüberstellen können und so die unterschiedlichen Wege und argumentativen Fortsetzungen in der Anordnung schön nachvollziehen können. Gerade darin liegt die Stärke der elektronischen Form. Eine Ausgabe, die nur eine serielle Bandanordnung abbildet, nutzt diese Möglichkeit zuwenig. Vor allem bei Pascal ist die vielfältige Deutungs- und Rezeptionsgeschichte hoch interessant. (Vielleicht kann man einer späteren Neuausgabe der CD neben der Gesamt-Übersetzung von Ulrich Kunzmann als Zusatz noch die Pensées in den verschiedenen französischen Fassungen und den deutschen (Teil-)Übersetzungen von Ewald Wasmuth, H. U. von Balthasar, Wilhelm Weischedel und Theophil Spoerri beigeben. Dann hätte man im wahrsten Sinne einen ‚Pascal im Kontext’. Und damit ein einzigartiges Dokument praktischen Philosophierens oder perspektivischen Denkens und Deutens, mit dem viele ‚Lehrbücher’ überflüssig würden.) Die Einheitlichkeit der Übersetzung ist (aber ohne Zweifel zugleich) die große Stärke der CD. Auch wenn ich persönlich die Übersetzung der ‚Gedanken’ durch Ulrich Kunzmann zu ‚sachlich’ finde. Ihre Sprache ist mir zu neutral. Ich favorisiere nach wie vor die Übersetzung von Ewald Wasmuth. Sie macht außerdem mehr die theologischen Hintergründe verständlich. Denn die ‚Gedanken’ Pascals sind nicht nur ein Beitrag zur Moralistik sondern auch aphoristische Theologie. Pascals Lehre vom Menschen ist nur vor dem Hintergrund seiner paradoxalen Gotteslehre und Christologie zu verstehen. Dieser Sinn wird bei der (philologisch exakten) Anordnung Lafumas etwas verstellt. Pascals fragmentarische Philosophie setzt eine deutende Anordnung des jeweiligen Herausgebers voraus. Das ‚Puzzle’ der Pensées kann nur gelöst werden, wenn man die verschiedenen Anordnungen miteinander vergleicht. So erhält man je nach Interesse des Herausgebers einen anderen Pascal. Mal mehr erkenntnistheoretisch oder anthropologisch, mal mehr apologetisch und theologisch. Nichts desto trotz ist dem Verleger Karsten Worm für seinen Mut zu danken, den doch philosophisch weithin unbekannten Pascal mit einer fast vollständigen Ausgabe der nicht-naturwissenschaftlichen Schriften zu würdigen. Auf diese musste der deutsche Leser viele Jahrhunderte warten. Trotz des Plädoyers für die Pluralität von Deutungen und Sprechweisen ermöglicht die jetzt vorliegende einheitliche Übersetzung eine Interpretation des pascalschen Werkes im Ganzen. Sie erleichtert das Erkennen von Zusammenhängen und Verbindungen und erlaubt die Rekonstruktion einer einheitlichen pascalschen Terminologie. Man hat jetzt auch in deutscher Sprache eine Gesamtausgabe. Diese war sonst nur in französischer Sprache verfügbar. Der deutsche Leser musste sich diese von verschiedenen Übersetzern zusammenstellen: Die ‚Gedanken’ von Wasmuth, die ‚Briefe in die Provinz’ von K. A. Ott, die ‚kleineren Schriften’ von Rüttenauer oder Wasmuth, die privaten ‚Briefe’ wiederum von Rüttenauer. Ältere Ausgaben aus dem 19. Jahrhundert rechneten gar die kleineren Schriften unter die ‚Gedanken’. So zum Beispiel die Übersetzung von Heinrich Hesse aus dem vorletzten Jahrhundert. Dieses (nur für Spezialisten durchschaubare) Stückwerk hat nun ein Ende. Das stückwerkhafte Denken ist zwar das Kennzeichen der pascalschen Philosophie, aber in philologischer Gestalt erschwert sie dem unspezialisierten Leser den Zugang. Dieser Zugang dürfte nun wesentlich erleichtert sein. Deshalb kann das Jahrhundertwerk einer einheitlichen Pascal-Übersetzung nur sehr begrüßt werden. Eine solche Ausgabe war lange überfällig. Dr. Andreas Schwarz



Kontakt:
Briefmarke des Monats

zu dieser Homepage